Erwiderung der Philipp-Holzmann-Schule FFM auf die „Landesweite Initiative zur Wertevermittlung in hessischen Schulen“

Wir dokumentieren sowohl an dieser Stelle als auch in der Druckausgabe der FLZ 1/2025 die Stellungnahme der Gesamtkonferenz der Philipp-Holzmann-Schule in Frankfurt am Main zur sogenannten Initiative zur Wertevermittlung des HMKB.

Die FLZ-Redaktion


Das Schreiben vom 6. September 2024 der Abteilung III des Hessischen Ministeriums für Kultus, Bildung und Chancen an die Schulleiterinnen und Schulleiter der öffentlichen Schulen in Hessen wurde von der Schulgemeinde der Philipp-Holzmann Schule in Frankfurt am Main zur Kenntnis genommen.

Dem Schreiben wurde große Beachtung zuteil. Diese Beachtung drückte sich zunächst in mehreren Emails von Lehrkräften an die Schulgemeinde aus, in denen erhebliche Irritationen über Form und Inhalt sowohl der Regelung zur Wertevermittlung als auch zu den beigefügten „Hinweisen und Anregungen für Lehrkräfte“ geäußert wurden. Folgerichtig berief die Schulleitung daraufhin am 7. Oktober 2024 dazu eine Dienstversammlung ein. Bei dieser Dienstversammlung setzten sich mehrere Arbeitsgruppen leitfragengestützt mit der Thematik auseinander. Dabei zeigte sich erneut, dass es erhebliche formale und inhaltliche Bedenken zur „Initiative zur Wertevermittlung“ gibt. Dazu gehören:

  1. Die im Hessischen Schulgesetz formulierten Gesetze sind verbindlich und damit selbstverständlicher Teil des Unterrichtshandelns. Dies umfasst daher ohne Einschränkungen die im Schreiben vom 6. September 2024 herangezogenen Absätze des § 2 HSchG. Einer gesonderten Regelung zur „Wertevermittlung“ bedarf es daher nicht. Im Gegenteil: Im Kollegium wurde mehrfach der Eindruck geäußert, die „Regelung“ würde unterstellen, dass man dem Bildungs- und Erziehungsauftrag bisher nicht ausreichend nachgekommen sei.
  2. Der schulrechtliche Status der „Regelung“ ist unklar. Die „Regelung“ kann damit keine handlungsanleitende Kraft entfalten und es entsteht ein ernstzunehmender Konflikt durch den Umstand, dass die „Regelung“ als „verbindlich“ charakterisiert wird. Dieser Konflikt wird nochmals durch die „Abzeichnungspflicht“ der Unterrichtszeiten und -inhalte durch die Schulleitung verstärkt.
  3. Neben den praktischen Hürden (zeitliche Ressourcen, organisatorische Verfahren), dieser „Abzeichnungspflicht“ nachzukommen, besteht die Gefahr, dass die Umsetzung einer schulrechtlich unklaren Vorgabe, zu Friktionen innerhalb der Schulgemeinde führen oder sogar den Schulfrieden beeinträchtigen kann.
  4. Es herrscht erhebliche Unsicherheit, ob die „Regelung zur Wertevermittlung“ dem §127 des Hessischen Schulgesetzes zur selbstständigen Planung und Durchführung des Unterrichts und des Schullebens durch die Schulen entspricht.
  5. Für die Umsetzung der „Regelung zur Wertevermittlung“ als gesonderter Bildungsschwerpunkt mit zwei Wochenstunden fehlen Kerncurriculum, Lehrplan und die Abbildung in der Stundentafel.
  6. Im Schreiben vom 7. September und den beigefügten Hinweisen und Anregungen besteht eine kaum nachvollziehbare Vermischung von Werten und Umgangsformen. Im Schreiben werden „Danke und Bitte“, „höflich vorgetragene Entschuldigungen“ als Beispiele für „unsere unveräußerlichen Werte“ benannt, obwohl es sich dabei um Umgangsformen handelt. Diese Verwechslung von Werten und Umgangsformen setzt sich in den Hinweisen in „3.2 Beispiele konkreter Handlungen“ konsequent fort. Dort werden „Achtung, Respekt und Höflichkeit“ als „Werte“ benannt, gleichwohl sich diese weder in der Hessischen Verfassung noch im Hessischen Schulgesetz wiederfinden. Die sogenannte „Wertevermittlung“ hat damit den Charakter einer Einübung in Umgangsformen und sollte daher auch als solche bezeichnet werden.

Die Philipp-Holzmann Schule ist seit vielen Jahren eine Bildungseinrichtung, die umfassend mit der Beschulung von Intensivklassen betraut ist. Die Schule verfügt über eine umfangreiche Kompetenz, dem Bildungs- und Erziehungsauftrag des Hessischen Schulgesetzes für junge Menschen mit vielfältigen Lern- und Lebensbiographien gerecht zu werden. In zurzeit 7 Intensivklassen unterrichten 18 Lehrkräfte sowie 2 Sozialpädagoginnen, die selbst wiederum heterogene Ausbildungs- und Sozialisierungserfahrungen mitbringen, mit großem Engagement und Erfolg. Vor diesem Hintergrund fand im Kollegium der Philipp-Holzmann-Schule der Umstand besondere Beachtung, dass sich die „Offensive zur Wertevermittlung“ verbindlich ausschließlich auf Intensivklassen richtet. Dabei erzeugten folgende inhaltliche Punkte erhebliche Irritationen:

  1. Das Schreiben vom 7. September postuliert, dass mangelnde Deutschkenntnisse dazu führten, dass Verhaltensweisen von Seiteneinsteigerinnen und Seiteneinsteigern ihren Mitmenschen gegenüber nicht adäquat sein würden. In den beigefügten Hinweisen wird dieser Punkt um „Gepflogenheiten in ihren Heimatländern“ erweitert. Deshalb würde es Seiteneinsteigerinnen und Seiteneinsteigern besonders schwer fallen, „sich in ihr Leben hierzulande einzufinden“. Das Grußwort des Ministers für Kultus, Bildung und Chancen geht zudem davon aus, dass fehlende Deutschkenntnisse sogar das Einfinden in „Normen einer sprachlich angemessenen Verhaltensweise“ besonders erschwerten.
    Derartige Formulierungen irritieren, weil diese ein gründliches Missverständnis über den Zusammenhang von Sprache, Verhaltensweisen, Werten, Normen, Gepflogenheiten und am Ende Umgangsformen transportieren. Sie legen nahe, dass sogenannte Werte wie Höflichkeit, Respekt und Achtung an das Beherrschen „deutscher Sprachregeln“ gebunden seien.
    Richtig ist, dass sprachliche Mittel es erleichtern, Werte wie Achtung und Respekt auszudrücken. Diese sprachlichen Mittel werden im DaZ-Unterricht intensiv vermittelt.
    Falsch hingegen ist es, dass die zugrundeliegenden Werte nicht zureichend vorhanden wären und auf Kosten des Deutschunterrichts in 2 Wochenstunden gesondert gelernt und eingeübt werden müssten. Die Reduzierung des DaZ-Unterrichts ist vielmehr kontraproduktiv. Sie beeinträchtigt die Vermittlung der Bildungssprache Deutsch und damit einen guten und schnellen Zugang zur Teilhabe an der Gesellschaft und auf dem Arbeitsmarkt.
  2. Der Herleitung der Notwendigkeit der Werteoffensive ermangelt es an erziehungswissenschaftlicher und empirischer Evidenz. Dieser Mangel verhindert, dass im Kollegium der PHS die Sinnhaftigkeit der Initiative nachvollzogen werden kann. Dies umso mehr, da die Stoßrichtung der Werteoffensive den tagtäglichen Erfahrungen der Lehrkräfte zuwider läuft, da die Schülerinnen und Schüler der Intensivklassen sich als überdurchschnittlich respektvoll und höflich dem Lehrpersonal gegenüber zeigen.
  3. Der Mangel an Wissenschaftlichkeit kann durch Formulierungen wie „die Medien berichten regelmäßig darüber“, „ist (…) zu beobachten“, „erleben wir“, „scheint es den aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen zufolge dringend notwendig“ nicht geheilt werden.
  4. Des Weiteren wird in Kapitel 4 mit den „Hinweisen und Anregungen für Lehrkräfte“ behauptet, dass es ein wichtiges Erziehungsziel sei, dass es „keine Irritationen für das Kind und den jungen Menschen [gibt], was nun richtig oder falsch ist“. Eine derartige Homogenisierung läuft den Bildungszielen des Hessischen Schulgesetzes wie Toleranz, der Achtung anderer Kulturen, dem Ertragen von Konflikten und der Fähigkeit, sich eigenständig eine Meinung zu bilden, zuwider. Vielmehr ist der Umgang mit Heterogenität eine wichtige Voraussetzung, um an einer demokratischen Gesellschaft erfolgreich teilnehmen zu können.
  5. Dazu gehört auch, dass in den „Hinweisen und Anregungen“ im Kontext von „geschlechterbezogenen Äußerungen“ undifferenziert über „die Stärken des Mannes, die Stärken der Frau“ gesprochen wird, nicht aber von diversen Personen, obwohl dies bereits seit 2017 vom Bundesverfassungsgericht als Option und als Ausdruck der demokratischen Freiheitsrechte und somit als zu schützender Wert anerkannt worden ist. Was die konkreten Stärken (und Schwächen) der Geschlechter sein sollen, die den Seiteneinsteigerinnen und Seiteneinsteigern vermittelt werden sollen, geht aus den „Hinweise[n] und Anregungen für Lehrkräfte“ überdies nicht hervor und so muss darauf gewartet werden, ob und wie das Ministerium das Rollenverhältnis zwischen den diversen Geschlechtern für den „Werte-Unterricht“ verbindlich regeln möchte.

Vor dem Hintergrund dieser formalen und inhaltlichen Bedenken appelliert das Lehrpersonal der Philipp-Holzmann Schule an die Verantwortlichen im Hessischen Ministerium für Kultus, Bildung und Chancen, möglichst alles zu tun, um die Rahmenbedingungen und Ressourcen für guten Unterricht zu verbessern, aber die Wertevermittlung vertrauensvoll in den Händen des Fachpersonals vor Ort zu belassen und so den Wert der pädagogischen Freiheit im Sinne des §86 des HschG hochzuhalten.

Das Kollegium der Philipp-Holzmann Schule, Berufliche Schule der Stadt Frankfurt am Main