Wir sind enttäuscht. Wir sind betroffen. Wir haben Angst

Im Folgenden veröffentlichen wir einen offenen Brief von Meriem Arfaoui, Bianca Schaardt, Alma Tischer an die Schulgemeinde der Carl-Schurz-Schule in Frankfurt. Die Autorinnen sprechen sich darin für die Ausladung der AfD von der Podiumsdiskussion zur Bundestagswahl 2025 am 6.2.2025 aus. Der Brief wird von 220 ehemaligen Schüler:innen unterstützt und ist der Schulleitung einige Tage vor der Veranstaltung zugegangen.

Die FLZ-Redaktion [12.2.2025]


Sehr geehrte (ehemalige) Schülerschaft, Lehrerschaft und Elternschaft,

Wir sind enttäuscht. Wir sind betroffen. Wir haben Angst.

Die Einladung der AfD in die Carl-Schurz-Schule (CSS) ist schlichtweg ein Affront gegen diejenigen von uns, die einen Migrationshintergrund haben, queer, jüdisch oder muslimisch sind. Die CSS ist ein Ort, der uns 8 Jahre lang geformt hat und den wir auch geprägt haben. Projekte wie Youth for Politics oder die Initiativgruppe zur Aufnahme der Schule ins Netzwerk Schule ohne Rassismus – Schule ohne Courage haben wir damals gegründet und mit Leben gefüllt.

Und nun soll auf der Bühne, auf der wir selbst mit diesen Projekten, im DS-Unterricht, in Chorproben oder auf Weihnachtskonzerten standen, ein Vertreter der AfD sitzen. Eine Partei, die erst privat und nun öffentlich über Remigration spricht. 

Wenn Sie den Vertreter einer solchen Partei in unsere Schule einladen, können Sie moderieren und bei Falschaussagen fact-checken wie Sie wollen. Unterm Strich erteilen Sie damit aber unserer berechtigten Sorge über eine Gesellschaft, die uns zunehmend unser „Deutschsein” abspricht, eine Abfuhr. Denn durch die Teilnahme der AfD signalisieren Sie, dass es okay ist, sich für eine Abschiebung von „unechten Deutschen” auszusprechen. Dass man sagen kann, Hitler war links. Nach all dem kann man noch immer auf eine Einladung in die CSS hoffen. 

Wir sagen: Diese rechtsextremen Aussagen sind keine Meinungen, und sollten deswegen auch keinen Raum in der CSS bekommen. 

So edel Ihre Grundintention, die Schüler:innen zur politischen Mündigkeit zu führen, auch sein mag: Ihr Vorhaben, eine vom Verfassungsschutz als in Teilen gesichert rechtsextrem eingestufte Partei einzuladen, ist verantwortungslos. Die AfD ist eine Partei, die wiederholt und bewusst in der Öffentlichkeit auf rassistische, antisemitische, Holocaust-verleugnende und historisch revisionistische Aussagen setzt. Wie Umfragen ergeben, schlägt diese Strategie gerade bei jungen Wähler:innen an. Die AfD trotzdem in die CSS einzuladen, ist enorm fahrlässig. 

Wir verstehen, dass Sie eine pluralistische Debatte stattfinden lassen wollen, bei der möglichst viele Meinungen vertreten sind. Das ist sicherlich auch von großem Wert für die Schülerschaft. Jedoch muss trotz aller Meinungsverschiedenheiten zumindest der Konsens vorhanden sein, dass bestimmte demokratische Grundsätze eingehalten werden - wie zum Beispiel die Achtung der Menschenwürde. Diese greift die AfD offenkundig an. Auf welcher Grundlage wollen Sie mit dieser Partei diskutieren, wenn wissenschaftliche Fakten nicht anerkannt werden und Fake News sowie Rechte Hetze den Diskurs bestimmen? Wollen Sie zum Beispiel ernsthaft debattieren, dass „die Ausländer” gar nicht alle kriminell sind?

Nur weil man demokratisch gewählt wurde, heißt das nicht, dass man demokratische Werte teilt (siehe NSDAP). Es gibt Aussagen von AfD-Politiker:innen wie: „Immerhin haben wir jetzt so viele Ausländer im Land, dass sich ein Holocaust mal wieder lohnen würde“ (Marcel Grauf). Keine zwei Wochen nach dem Holocaust-Gedenktag soll nun ein Vertreter dieser Partei eine Bühne in der Carl-Schurz-Schule gegeben werden. Unabhängig von dem noch nicht eingeleiteten Verbotsverfahren gegen die Partei steht fest, dass die AfD demokratiefeindlich ist - weshalb sie für uns als Gesprächspartner an der CSS nicht in Frage kommt. Nicht der Ausschluss der Demokratiefeinde gefährdet die demokratische Debatte, sondern die Demokratiefeinde selbst.

Ein offener, pluralistischer Diskurs ist trotz Ausschluss möglich. Sie können und sollten gemeinsam mit den Schüler:innen die Positionen der AfD kritisch beleuchten und diskutieren. Dafür müssen Sie AfD-Vertreter:innen keine Bühne geben, auf der sie die Möglichkeit haben, ihr (teils gesichertes) rechtsextremes Gedankengut zu verbreiten. Damit würden Sie nur zur Normalisierung solcher Inhalte beitragen.

Seit dem Eintritt der AfD in den öffentlichen Diskurs kursiert die Meinung, man müsse sie nur reden lassen. Dann könne man ihre Standpunkte zum Schutze unserer freiheitlich-demokratischen Ordnung entkräften. Aber selbst nach 10 Jahren all diesen Entkräftens und Argumentierens ist das Resultat, dass die AfD bei 20% in Wahlen und Umfragen liegt. Der Diskurs wird weiter verschoben und man kann nun ganz offen von Remigrationsplänen sprechen und diese in Resolutionen und Wahlprogramme verpacken. Was vor einem Jahr noch „aufgedeckt“ wurde und hunderttausende Menschen auf die Straße brachte, steht nun in AfD-Flyern. 

Sollte sich der AfD-Vertreter bei dieser einen Podiumsdiskussion allerdings nicht hetzerisch äußern, wird der Schaden trotzdem groß sein. Denn wenn die AfD an einem Donnerstagvormittag in gut sitzendem Anzug in der CSS willkommen geheißen wird, erhält die Partei einen seriösen Anstrich. So können sie dann auf der einen Veranstaltung völlig zivil wirken und den Eindruck erwecken „So schlimm sind die doch gar nicht, was sollen die ganzen Anfeindungen?!” und rücken dadurch in die Mitte unserer Gesellschaft. Wenn sie dann auf der nächsten Veranstaltung das gewohnte Repertoire an völkischem Gedankengut loslassen, wird der Widerstand in der Gesellschaft beobachtbar geringer.

Und ausgerechnet das soll an der Schule CSS passieren? Eine Schule, die nach Carl Schurz benannt ist - ein Revolutionär, der sich für die erste Demokratie Deutschlands einsetzte.

Es ist schwierig als junger Mensch angesichts der jüngsten politischen Entwicklungen nicht in Verzweiflung und Defätismus zu verfallen. Dass Faschist:innen und Rechtsradikale tatsächlich durchkommen, können wir aktuell beobachten: In Italien etwa oder aktueller auch Österreich, wo nun die rechtsradikale FPÖ den Regierungsauftrag hat.

Die Probleme sind groß und unsere Möglichkeiten beschränkt. Aber insbesondere nach den Protesten der vergangenen Wochen, die in ganz Deutschland die Haltung gegen Faschismus erklingen ließen, trauen wir uns wieder, Hoffnung zu fassen. 

Allerdings ist es wichtig, dass es beim Widerstand gegen Faschismus nicht bloß bei einem Lippenbekenntnis bleibt. Wir alle sind nun gefragt, unsere Handlungsspielräume zu nutzen.

Lasst uns also an der CSS den Fokus darauf legen, was wir selbst konkret tun können. Was macht eine starke Demokratie genau jetzt aus? Was braucht es, um gegen die Demokratiefeinde anzukommen?

Insbesondere Sie, sehr geehrte Schulleitung, tragen dabei eine besondere Verantwortung. Sie haben nun die Chance, ihren Versprechungen einer Schule ohne Rassismus auch Taten folgen zu lassen. Deshalb sprechen wir, ehemalige Schüler:innen der CSS, uns für die Ausladung der AfD von der Podiumsdiskussion am 6. Februar aus. Das wäre mal echte Courage!

Mit freundlichen Grüßen,
Meriem Arfaoui, Bianca Schaardt, Alma Tischer