Vor ein paar Jahren belauschte ich eine Konversation im Bus: Eine junge Frau erzählte von ihrem Studienwunsch. Doch dieser sei nicht erfüllbar – aus finanziellen Gründen. Als eine zweite junge Frau auf das BAföG hinwies, antwortete sie, dieses sei viel zu niedrig, um ihr das Studium zu ermöglichen.
Das Bundesverfassungsgericht hat nun entschieden: Trotz im Grundgesetz verankertem Teilhaberecht und Sozialstaatsprinzip gibt es kein Anrecht auf BAföG. Karlsruhe urteilte ganz anders als die Verwaltungsgerichte in Berlin und Leipzig: Diese hatten den Prozess mit ihrer Auffassung das BAföG sei verfassungswidrig, da es unter dem juristischen Existenzminimum liege, eingeleitet.
Recht ist und bleibt politische Auslegungssache. Denn die anhaltend hohe Bildungsungleichheit an deutschen Hochschulen beweist, dass die Teilhabe von Menschen nicht-akademischer Herkunft eher rein theoretisch möglich ist (5). 2021 stammten 70% der Studierenden aus akademischem Elternhaus, Tendenz steigend (2). Damit das Recht auf die freie Wahl der Ausbildungsstätte (Art. 12, GG) auch praktisch umgesetzt wird, braucht es finanzielle Mittel. Die hat einmal das BAföG geboten – doch daran erinnern sich höchstens im Rentenalter befindliche 68er, die es 1971 erkämpften. Mit dem heutigen BAföG, dass die Kosten des Studierens nicht annähernd deckt (3), wird Bildung wieder stärker zum Privileg. Bei ständig steigenden Mieten und Lebenshaltungskosten wird die Lage immer schlimmer – die kürzlichen Reform glich nicht einmal die jüngste Inflation aus.
Doch nicht nur die Höhe des BAföG, die jeden Limbo-Wettbewerb gewinnen würde, ist problematisch. Unter 12% der Studierenden beziehen BAföG. Zum Vergleich: Bei seiner Einführung waren es 47%. So darf sich einer wie Clemens Weitz über billige Nebenjobber freuen. Doch selbst der CEO der Leiharbeitsfirma Jobvalley bemitleidet Studierende: „niemandem [kann] gefallen, dass auf dem Weg in den Beruf schon vor der zugespitzten Kostenkrise rund 30 Prozent aller Studierenden in Armut lebten“ (1). Etwa 63% der Studierenden müssen nebenher arbeiten – 15 Stunden im Schnitt (2). Neben 34 Stunden durchschnittlichem Aufwand für das Studium ergibt das eine stramme 49-Stunden Arbeitswoche (2). 2023 waren 36% von Armut betroffen – unter Studierenden, die allein oder in WGs leben, sogar 80,2% (3). So erfüllen Studierende für die Kapitalseite einen Zweck: Sie sind flexibel einstellbar und geben sich mit jedem Vertrag zu jedem Lohn zufrieden. Jobvalley zahlt einen durchschnittlichen Stundenlohn von 13,91€ (4). Die Unternehmen zahlen aber etwa 26 bis 28 Euro an Jobvalley (4). Daran sieht man, wie dringend zusätzliche, saisonale Arbeitskräfte gebraucht werden und was für auskömmliche Löhne Arbeitende verdienen könnten, wenn es Vermittler wie Jobvalley und nebenjobbende Studierende als Arbeitskraftreserve nicht gäbe. Wenn Studierende echte finanzielle Sicherheit einfordern, stehen sie also nicht nur in Verantwortung für sich selbst. Ihr Kampf für eine sichere und auskömmliche Studienfinanzierung beeinflusst die gesamte Gesellschaft und geht Hand in Hand mit dem gewerkschaftlichen Kampf für gute Löhne und sichere Arbeitsverträge.
Doch wo bleibt der Kampf der Studierendenschaft? Anlässlich des Weltstudierendentages rief die Kampagne „BAföG für Alle“ einen bundesweiten Aktionstag aus, bei dem die namensgebende Forderung im Mittelpunkt stand: An einigen Hochschulen wurde für eine bedarfsdeckende, unbefristete, eltern- und herkunftsunabhängige Finanzierung für Studierende, Auszubildende und außer Haus lebende Schüler*innen gekämpft. Dieser Auftakt ist ein Hoffnungsschimmer. Doch um das Ziel eines „BAföG für Alle“ zu erreichen, braucht es ein breites Bewusstsein und viele junge Menschen in allen Ausbildungsbereichen, die Infostände, Aktionen und Bildungsstreiks à la 2009 oder 1968 organisieren. Und natürlich die Unterstützung der Arbeitenden, Eltern und Lehrkräfte, die alle ein Interesse an massiven Investitionen in Bildung statt Rüstung hätten: Denn statt in „totes Kapital“ und die Taschen von Kriegsprofiteure kann mit Bildung in wirtschaftliche Produktivität, damit Sozialstaat und sichere Renten sowie gute Forschung als Grundlage zur Lösung der Menschheitsprobleme – darunter auch friedliche Konfliktlösung – investiert werden.
Gerade die Lehrkräfte in den Schulen und Hochschulen spüren seit jeher die Unterfinanzierung der Bildung: Prekäre Arbeitsverträge, marode Gebäude, fehlende Lehrmaterialien, der ständige Wettbewerb um Drittmittel für die Forschung und Lernende mit immer schwächerer Allgemeinbildung sind keine isolierten Problematiken. Sie alle wurzeln in falscher staatlicher Priorisierung in der die Bildung stets hintenüberfällt. Die Schwäche des BAföG, des Rückgrats der Ausbildung der nächsten Generation Wissenschaffender und Lehrender, ist eins der gravierendsten Symptome dieser Bildungskrise – und Grund zum Kampf für eine neue Priorität des Bildungswesens!
von Kjell Tiedemann (Student der Soziologie, aktiv bei DieLinke.SDS)
2: https://www.bmbf.de/SharedDocs/Publikationen/de/bmbf/4/31790_22_Sozialerhebung_2021.html